Carissima Düsseldorf | Wurzeln in Italien
Schink: Domenico, ich möchte behaupten, als Italiener bis du heute kaum noch Rassismus oder Vorurteilen ausgesetzt, ist das richtig?
Tartaglione: Ich kann das so bestätigen.
Schink: Hat das auch was mit der Sprache zu tun? Italiener sind in der dritten Generation in Deutschland, die meisten, die ich kenne, sprechen perfektes Hochdeutsch. Trotzdem die Frage: Fühlst du dich eher als Deutscher oder als Italiener?
Tartaglione: Die Deutschen haben bestimmte typische Eigenschaften, die Italiener auch. Während Italiener eher aufbrausend und impulsiv sind, ist es für Deutsche eher typisch, zuverlässig und pünktlich zu sein. Diese Lebenseinstellung schätze ich sehr und es gibt sie in Italien nicht.
Schink: Ich habe Zweifel, dass diese Eigenschaften typisch deutsch sind. Du umschiffst die Frage geschickt. Ich habe dich aber dann eher als unitalienisch kennengelernt. Entspannt, ausgeglichen, geduldig und nicht impulsiv.
Tartaglione: Man verliert auch einiges an Stressfaktoren, wenn zu Hause in der Familie alles stimmt. Ihr Deutschen redet euch ein, die Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit sei heute nicht mehr typisch deutsch. Aber diese Stabilität findest du in Italien nicht. Wir haben alle sechs Monate eine neue Regierung.
Schink: Ich habe dir gut zugehört, du sprichst von den Deutschen als „Ihr“, von den Italienern als „Wir“. Überwiegt doch die italienische Identität? Ich fände das ganz normal. Schließlich machen Italiener doch eher italienische Restaurants auf, sowie Türken eben türkische Lokale eröffnen.
Tartaglione: Wir werden nicht mit Schnitzeln aufgezogen sondern mit der mediterranen Küche. Die Küche bestimmt auch die Identität. In einem italienischen Wohnhaus hat die Küche auch einen anderen Stellenwert als hier. Die Küche ist Lebensmittelpunkt für die ganze Familie. Wenn die Mutter kocht, nimmt daran die ganze Familie teil, sie macht das nicht allein wie in deutschen Familien. Dabei kommen Generationen zusammen.
Schink: Du hast ziemlich konkrete Vorstellungen über die deutsche und sie italienische Seele.
Tartaglione: Als Italiener in Deutschland habe ich ein bestimmtes Selbstverständnis. Ich fühle mich keinen Vorurteilen von den Deutschen ausgesetzt. Nur dass Deutsche manchmal denken, wir seien unpünktlich oder so etwas. Dabei versuche ich immer vorher anzurufen, falls ich einen Termin mal nicht pünktlich wahrnehmen kann. Aber vielleicht ist auch das mein eigener deutscher Teil. Die Italiener, die als Gastarbeiter hiergeblieben sind und deren Nachkommen sind vielleicht die am besten integrierte Ausländergruppe in Deutschland. Schließlich sind wir bereits seit den 60er Jahren hier. Trotzdem verleugnen wir unsere Nationalität nicht – wir sind stolze Italiener.